Hello friends…
Ich lieb’s ja selbst, auf der Couch mit einem Kaffee ein gutes Interview von jemandem zu lesen, dessen Leben und Arbeiten mich interessiert, entweder ganz oder mich zur Frage zu blättern, die mich am meisten interessiert. Für’s romantische Bild würde ich gern ein toll bebildertes Magazin benennen, (*checkt fassungslos seine Bildschirmzeit*) aber am Ende lese ich dann doch eher auf Blogs oder in Online Magazinen. Genau wie ihr gerade! Ihr hattet viele Fragen – also dachte ich mir, machen wir einfach ein fiktives Interview daraus. Wenn Ihr über das Interview hinaus noch Fragen habt, stellt sie gern in den Kommentaren unter diesem Blogpost für Part II.
Also los, ich bin gespannt auf eure Fragen!

Was bedeutet dir das Schreiben als persönlicher Prozess?
Ist es Therapie, Kunst, Erkenntnis oder etwas anderes?
Für mich persönlich ist Schreiben wie Therapie. Ein geistiger Spiegel, der mich wie ein physischer Spiegel mit mir bekannt macht, auf Schönheiten und vermeintliche Makel hinweist. Ich bin dankbar, wenn ich sehe, dass da ein Kaffeefleck am Kragen ist, bevor ich das Haus verlasse. Genauso bin ich dem Schreiben dankbar, wenn es mich erinnert, dass mich dieses Trauma aus der zweiten Klasse von diesem einen Projekt abhält, bevor ich dem Glauben verfalle, ich müsse mich nur mehr anstrengen, um voranzukommen.
Es klingt sehr technisch. Aber Schreiben bedeutet mir wirklich alles. Schreiben ist meine lebendige Beziehung zu mir selbst. Der Puls für einen wachen Geist.
Wie bist du zum Schreiben als Beruf gekommen?
Mein Weg war vermutlich nicht ganz klassisch. Ich glaube, dass die meisten Schreibenden über das Lesen zu diesem Beruf kommen. Bei mir war das nicht so. Ich hatte als Kind oft Konzentrationsschwierigkeiten beim Lesen, aber Geschichten an sich konnten meine Augen immer wieder zum Leuchten bringen. Für mich war es eher das Festhalten von Erfahrungen und die poetische Musikalität von Worten, die mich am Schreiben fasziniert haben. Ich habe mich auch früh in Filme und Hörspiele verliebt und als ich dann irgendwann erfahren habe, dass auch diese Werke mit dem geschriebenen Wort beginnen, war es quasi um mich geschehen.
Aber ich glaube, das Festhalten der eigenen Erfahrung war schon das Entscheidendste. Ich war mir irgendwie sehr früh über die Vergänglichkeit des Lebens bewusst und habe im Geschichten erzählen auch schon immer so etwas wie ein Vermächtnis gesehen. Ich war als kleines Kind mit einem sehr tragischen Todesfall einer 8-jährigen Freundin der Familie konfrontiert und vermute, dass mich das sehr geprägt hat und auch tiefe existenzielle Fragen angestoßen hat.
Wo treffen wir dich ganz aktuell? Wer bist du heute?
Ihr trefft mich aktuell quasi im freien Fall. So fühlt es sich zumindest an. Auch, wenn es vielleicht irgendwann mal mit der Pragmatische Poesie Reihe weitergeht, habe ich nach dem dritten Buch gemerkt, dass es Zeit für etwas neues ist. Ganz aktuell will ich bei all meiner Experimentierfreude eine neue Klarheit in mein Schaffen bringen. Ich bin noch immer dieser extrem neugierige Junge mit unzähligen offenen Fragen ans Leben, der aber plötzlich ein 33 Jahre alter Mann geworden ist, von dem die Gesellschaft Gradlinigkeit erwartet. In diesem Spannungsfeld bemühe ich mich gerade um Abgrenzung und die Erlaubnis, wieder spielerischer ans Leben zu gehen.
Genauer gesagt, versuche ich mich dieser Tage künstlerisch neu zu erfinden. Gefühlt mache ich das zwar jede Woche, aber diesmal fühlt es sich etwas grundsätzlicher an. Meine Visionen für Essays, Buchprojekte oder visuelle Werke wechseln sich manchmal täglich ab. Auch wenn ich mich mit meiner multipassionierten Scanner-Persönlichkeit weitgehend angefreundet habe, kämpfe ich gerade immer wieder um meinen Fokus. Den Fokus, den es nunmal braucht, um überhaupt etwas davon in die Umsetzung zu bringen. Dieser Blog zum Beispiel ist ein Teil von diesem neuen Fokus.
Wie sieht ein typischer kreativer Tag bei dir aus?
Oder gibt es das gar nicht – weil jeder Tag anders ist?
Sehr unterschiedlich. Aber eins ist sicher: So ein Tag beginnt mit Kaffee – sehr viel Kaffee. Zu viel wahrscheinlich, aber versuche mich da aktuell mehr zu zügeln. Und dann beginne ich meist mit Morning Pages, klassischem Journaling oder sonst einem Prozess, der mir allem Klarheit und Momentum bringt.
Unter den Produktivitätsgurus gibt es ja auch diesen Spruch „Eat that Frog“ also quasi mach das unangenehmste To Do deines Tages zuerst. Meine neurodivergente Leserschaft wird mir hier zustimmen, dass das definitiv kein guter Ratschlag für alle von uns ist. Ich brauche Momentum, einen Motor der bereits auf Hochtouren läuft, bevor ich mich an so eine Aufgabe machen kann. Erstmal kleine Kritzeleien vor dem großen Gemälde. Erstmal 2 Minuten alberne Worte auf einen kleinen Zettel schreiben, bevor ich die großen Gefühle zu Papier bringe.
Kreativ arbeite ich meist am Morgen bis 12 Uhr und ab da ist der Tag dann meist von alltäglicheren Aufgaben bestimmt: Geschäftstermine, Gassi gehen mit dem Hund, Haushalt, Socializing. Aber Abends und manchmal auch Nachts kommen dann schon nochmal Ideen, die ich dann auch direkt notieren oder umsetzen will.
Wie bist du zu deinem Format „Pragmatische Poesie“ gekommen?
Als ich mit den ersten Texten zu den Büchern 2015 begann, wollte ich meine Faszination für Philosophie und die Stoiker mit meinem Hang zum Cineastischen und der Romantik verbinden. Für das, was ich damals ausdrücken wollte, erschien mir meine Poesie manchmal zu verträumt und der klassische Sachtext zu kühl. Deshalb habe ich die beiden, bildlich gesprochen, auf ein Date geschickt und sie sind tatsächlich im Bett gelandet. 9 Monate später kam dann Pragmatische Poesie zur Welt und war genau das Format, was ich selbst vermisst habe: Gedichte, die sich nicht zu schade sind, auch mal etwas zu erforschen und Essays, die sich nicht zu schade sind, auch mal Gefühl und Melodie zu folgen.
Was würdest du sagen hat dich und dein Schaffen geprägt?
Ahje, wieviel Zeit hast du? Dadurch, dass ich sehr früh begonnen habe, Dinge aufzuschreiben, bin ich mir der Liste meiner Einflüsse manchmal glaube ich fast schon zu bewusst. Aber ich denke man könnte es zunächst runterbrechen auf die drei Punkte: Kunst, Kino und der Tod.
Ich habe mich schon immer etwas anders gefühlt. Als das letzte von drei Kindern in der Familie, war ich weniger Nesthäckchen als vielmehr Eigenbrödler. Im Schatten meiner Geschwister habe ich mich zwar zeitweise übersehen gefühlt, aber konnte glaube ich auch mehr für mich sein, als das meine Geschwister in dem Alter konnten. Sobald ich schreiben konnte, habe ich dann auch schon Tagebuch geführt und erforschte auf dem Papier auch meine banalsten Erlebnisse. Beeindruckt von einem künstlerisch sehr talentierten Freund meines Bruders, begann ich mit 6 einen gewissen Ehrgeiz im Zeichnen zu entwickeln.
Mein Großvater und einer meiner Onkels waren wohl auch frühe kreative Einflüsse für mich. Mein Großvater hat malerisch die alten Meister für sich erkundet und so viel im Stil von Picasso und Miró gemalt. Einige dieser Bilder hingen in meinem Elternhaus, sodass kubistische Motive meinen Blick für Form und Farbe sicher früh gelenkt haben.
Mein Onkel wohnte weiter entfernt und war eine Weile quasi mein Brieffreund. Wir erzählten aus unserem Alltag und er zeichnete zu seinen Briefen auch immer kleine Illustrationen. Schematische Landschaften und schlichte Figuren in Alltagssituationen. Mir gefiel, dass die Briefe dadurch einen fröhlichen, spielerischen Anstrich bekamen. Und nach dem Auspacken machten mich die Zeichnungen immer wieder neugierig auf den eigentlichen Text. Das gefiel mir als Kind sehr und schaffte sicher einen noch spielerischeren Zugang zum geschriebenen Wort.
Ich bin nicht wirklich streng religiös aufgewachsen, aber war als Kind und Jugendlicher doch viel in unserer lokalen evangelischen Gemeinde unterwegs. Abgesehen von dem christlichen Kontext, faszinierte mich hier die Bereitschaft, dem Leben große Fragen zu stellen und sich dazu auch mal mit etwas zu verbinden, das größer als das menschliche Selbst ist. Gerade der Mystizismus, die christliche Ikonografie und das Philosophieren hat mir hier sehr imponiert.
Aber eigentlich war eher das Kino meine Kirche: Filme waren irgendwie mein Tor in die Welt des Geschichten Erzählens und erzeugten eine Sogkraft, die ich schwer beschreiben kann. Es waren Märchenfilme als Kind, gute Thriller und Horrorfilme als Teenager und – so pathetisch es klingt, aber – Arthouse Filme mit Anfang 20 .
Der Film Casper von 1995 zum Beispiel hat mir – all seiner hollywood-typischen Banalitäten zum Trotz – einen spielerischen Rahmen gegeben, in dem ich mich mit dem Thema Tod und Vermächtnis auseinandersetzen konnte ohne religiös oder moralisch erhobenen Zeigefinger. Oder das Buch Der Strand von Alex Garland (1996) und seine Verfilmung The Beach von 2000 hat mich in meinen dunkelsten Teeniejahren abgeholt mit der Frage, wie weit uns Sehnsucht treiben kann und welchen Preis wir mit einer hedonistischen Alltagsflucht womöglich zahlen.
Und wie gesagt: Ich habe mich schon immer etwas anders gefühlt. Soderbar. Wollte als Junge auch mal Kleider im Kindergarten anziehen, habe statt Sonnen und Tieren, Monster und Untote gezeichnet oder habe einmal auch behauptet, dass ich meinen 5 Jahre älteren Bruder nach seiner Geburt im Krankenhaus besucht hätte. Sonderbar eben.
Und als queerer Mann in den 2000ern war das Versteckspiel in der Pubertät bis zu meinem Coming Out mit 18 wohl auch eine sehr prägende Zeit, da es mein Erwachsen Werden und nach der Liebe suchen seltsam verzögert hatte. Mich zwang dieses Schicksal auch immer irgendwie in die Beobachter Rolle: Während die anderen ihre ersten romantischen und sexuellen Erfahrungen machten, war ich nur Begleiter, Zuhörer und Berater. Mein eigenes Erleben blieb lange performativ, sodass ich mit Anfang 20 einfach viel nachholen musste: Grenzerfahrungen mit Drogen, sexuelle Ekapaden, Herzschmerz, Dreiecksgeschichten und Dramen noch und nöcher. Es war eine sehr haltlose, aber auch extrem lehrreiche Zeit.
Meine Pragmatische Poesie Reihe ist, was das Format angeht, auch eine Hommage an den Einfluss von Anselm Grün und seine Bücher. Mit 16 habe ich in seinen kurzen Texten über die Sehnsucht viel Trost und Hoffnung gefunden und mochte, dass die Texte so kurz und bündig philosophische Konzepte auf den Punkt bringen konnten.
Zum Ende meiner Schulzeit bin ich auch zu meinen spirituelleren Einflüssen gekommen, habe (wie die halbe Welt zu dieser Zeit) das Buch The Secret entdeckt und bin dann thematisch etwas stromaufwärts gewandert zum Werk The Master Key System (1912) von Charles F. Haanel. Ich glaube ich habe dieses Buch über meine Zwanziger unzählige male gelesen und einige Kapitel förmlich studiert, weil mich die vorgestellten Prinzipien aber auch die wirksame Sprache sehr fasziniert haben. Auch die Arbeit von Esther und Jerry Hicks hat damals großen Einfluss auf mich gehabt, genau wie Byron Katies The Work. Aber auch die Stoiker – vor allem Marc Aurel habe ich sehr verinnerlicht in dieser Zeit.
Abgesehen von Büchern und Filmen haben mich aber vor allem ganz persönliche Narrative fasziniert – vor allem von mutigen und selbstbestimmten Frauen. Ich habe Interviews von der Autorin Elizabeth Gilbert zum Beispiel verschlungen und war fasziniert davon, wie leichtfüßig man doch über das eigene spirituelle Erwachen schreiben und sprechen kann. Genauso die biografischen Werke von Glennon Doyle, die mich ähnlich wie Anselm Grün auch mit ihrem Format gewonnen haben, mit der Kürze und Prägnanz von gleichzeitig sehr tiefen Erkenntnissen.
Worum geht es in deinem ersten Buch „Das Leben ist schrecklich schön“ – und warum war es dein erstes geworden?
Das Buch ist letztlich eine Sammlung ganz unterschiedlicher Themen rund um Vergänglichkeit, Zuversicht und Sinnsuche. Aber Grundtenor ist im ersten Teil vor allem die Akzeptanz der Polaritäten des Lebens: Seinen subjektiv schrecklichen Anteilen, die wir mit Abstand aber als Teil einer übergeordneten Schönheit erkennen dürfen. Ich denke diese Textsammlung wurde meine erste Veröffentlichung, weil mich schlicht der Traum eines eigenen Buches zu diesem Zeitpunkt schon ewig verfolgt hat und mir zum anderen eine Liebeserklärung an das Leben als solches wie ein passender Auftakt für mein Gesamtwerk erschien (wo auch immer es mich noch hinverschlägt.)
Welche Fragen stellst du mit „Die Liebe ist furchtbar frei“ – an deine Leser*innen, aber auch an dich selbst?
Maßgeblich: Welche Beziehung hast du zur Liebe selbst? Und was, wenn diese Beziehung ganz anders aussehen darf als die, die deine Eltern, Freunde oder Hollywood dir vorleben? Ich glaube ehrlichgesagt, dass ich meine Leserschaft mit manchen Texten in diesem Buch doch sehr herausgefordert und viel Selbsterfahrung vorausgesetzt habe, aber gerade Jemand, der von der Liebe enttäuscht ist, eine Trennung durchmacht oder einfach mal eine neue Perspektive zum Thema einnehmen will, ist das Buch die perfekte Begleitung dazu. Zumindest war es das für mich.
Was möchtest du mit „Die Schönheit bleibt ewig ohne Namen“ sichtbar machen?
Ich habe mir mit Buch Drei die vermeintlich unlösbare Aufgabe gestellt, mit Worten auf das Unsagbare zu zeigen. Auf die Schönheit hinter den Namen, die gegenwärtige Phänomenologie, die unseren mentalen und verbalen Konzepten vorausgeht. Aber auch dieses Buch ist eine Sammlung geworden, die auch in Themen eintaucht wie People Pleasing, die eigene Körperintelligenz und die Aussöhnung mit dem eigenen inneren Kind.
Wie würdest du den roten Faden deiner bisherigen Werke beschreiben?
Rückblickend sind alle drei Bände Pragmatischer Poesie ein Art Manifest für die Sehnsucht geworden. So sehr ich mich manchmal selbst beim schreiben kritisiert habe, vieles offen zu lassen, war das letztlich die wichtigste Botschaft: Leben dehnt sich aus. Es ist nie vollendet und unsere Sehnsucht erzählt genau davon. Sie zeigt auf den Horizont unserer Vorstellungskraft und versichert uns: Dahinter geht es weiter. Egal wie hoffnungslos deine jetzige Situation erscheint, da wartet ein schönes, noch wahrhaftigeres Leben auf dich.
Wie entstehen deine Scribble-Illustrationen?
Skizzierst du zuerst oder entstehen Bild & Text parallel?
Mal so, mal so. Die Illustrationen für „Das Leben ist schrecklich schön“ sind nachträglich entstanden. Ich hab sie ins Manuskript gekritzelt und anschließend eingescannt. Ich mochte diesen haptischen Prozess. Bei den beiden folgenden Büchern war mir schon beim Schreiben klar, dass es Illustrationen geben wird und so sind sie parallel entstanden aber diesmal direkt digital per Zeichen-Pad. Das hat die finale Formatierung deutlich einfacher gemacht.
Welche Rolle spielen deine Strichmännchen – was erzählen sie zwischen den Zeilen?
Die Antwort, was genau sie zu erzählen haben, würde ich tatsächlich dem, der Betrachter:in selbst überlassen. Genau das mag ich am Visuellen gegenüber dem Geschriebenen. Das es freier interpretiert werden darf.
Aber natürlich nehmen die Illustrationen eine Rolle ein, die ich auch irgendwo bewusst gewählt habe. Sie begleiten durch die Texte, laden ein die vielleicht auch schweren Themen, leicht und spielerisch zu betrachten.
Gibt es ein bestimmtes Bild oder eine bestimmte Passage, auf die du besonders stolz bist – oder die dir wichtig ist?
Puh, schwierig. Das ist als würde man den Vater einer Großfamilie fragen „Wer ist dein Lieblingskind?“ – dünnes Eis! Alles gehört irgendwie zusammen und steht für sich und es gibt Tage, da finde ich manche Texte ganz warm und einladend und an anderen nerven sie mich und ich find albern, was ich produziert habe. Ich glaube so geht es vielen künstlerisch Schaffenden mit ihren Erzeugnissen. Aktuell fühl ich mich „Leuchtfeuer“ aus „Die Schönheit bleibt ewig ohne Namen“ sehr nah, vermutlich weil es zeitlich noch so nah an mir dran ist. Aber das kann sich wirklich täglich ändern bei mir.
Wer liest deine Bücher – und warum, glaubst du, fühlen sich gerade diese Menschen von deinen Texten angesprochen?
Sehr unterschiedlich. Jedes Alter, unterschiedliche Lebenswege, alles mit dabei. Aber klar erkennt man Muster. Anfangs war ich zum Beispiel überrascht, dass so viele Frauen meine Texte lesen. Gleichzeitig bin ich sehr gut in Verbindung mit meiner femininen Seite und schreibe über Abgrenzung und Es-nicht-immer-allen-Recht-machen-müssen, was ja einfach klassisch feministische Werte beinhaltet. Daher macht es schon Sinn, auch wenn ich denke, dass gefühlsbetonte Literatur sich geschlechtsunabhängigerer Beliebtheit erfreuen sollte und die Lektüre auch dem ein oder anderen heterosexuellen Mann mal gut täte.
Welche Rückmeldungen von Leser*innen haben dich besonders berührt oder überrascht?
Bei einer Lesung kam eine Leserin zu mir und hat mir unter Tränen davon berichtet, wie mein Buch „Die Liebe ist furchtbar frei“ sie und ihren Ex-Mann durch ihre Scheidung getragen hat. Sie beschrieb Dinge, die ich nicht explizit in meinen Texten angesprochen habe, aber beim Schreiben gefühlt habe. Ich hatte das Buch damals selbst in einer Trennungsphase verfasst und das war einfach nochmal so eine Bestätigung, dass es manchmal weniger die Texte sind als vielmehr die Energie, in der wir sie verfassen, die dann eine entsprechende Leserschaft anzieht.
Wie gehst du mit der Verantwortung um, wenn Menschen durch deine Texte begleitet werden – z. B. in Trennungsphasen oder Lebensumbrüchen?
Verantwortung ist ein schwieriges Wort, gerade für einen Recovering People Pleaser wie mich, weil sich unsereins für gewöhnlich zu schnell, für zu viel verantwortlich fühlt.
Aber gleichzeit will ich die Wirkung der Texte nicht von mir weisen. Zum Beispiel schreibe ich in „Die Liebe ist furchtbar frei“ auch über eine sexuelle Missbrauchserfahrung, die eine Leserin zum Beispiel als sehr unangenehm empfunden und sich hier eine Triggerwarnung gewünscht hätte.
Ab wann so eine Warnung nun tatsächlich notwendig ist und bis wann fremde Erfahrungen zum Lebensrisiko als solches gehören, ist eine Debatte für sich, aber ich nehme solche Nachrichten sehr ernst und habe bereits für eine Neuauflage des zweiten Buchs entsprechende Hinweise für Betroffene eingeplant.
Was bedeutet für dich das Thema „People Pleasing“ – und wie bist du damit in Berührung gekommen?
Der Begriff People Pleasing ist mir glaub ich das erste mal in einem Oprah Interview begegnet als ich mit Anfang 20 ständig Super Soul Sunday Videos auf Youtube geschaut habe. Aber erst als ich es in den letzten Jahren im Zusammenhang mit Hypervigilanz gehört habe, also einem ganz körperlichen Überlebensdrang – da hat etwas bei mir Klick gemacht. Ich meine mich zu erinnern, dass ich über ein TikTok Video darauf gestoßen bin und dann im Abgleich mit meiner systemischen Arbeit und meiner Kindheit einfach einen Haufen Aha-Momente hatte.
Ich habe einfach wie viele queere und/oder neurodivergente Menschen, sehr früh bemerkt, dass ich etwas anders bin als die anderen und gelernt, mich anzupassen, um dazuzugehören. Hinzu kam wohl auch der frühe Kontakt mit cholerischen Verwandten, dass eben besagte Hypervigilenz auslösen kann: Wir fühlen uns nicht sicher und weil wir als Kinder an eine gerechte Welt glauben wollen, entscheiden wir unbewusst, dass wir Schuld an der ungerechten Welt sind. Denn so behalten wir mit unserer Sühne die Kontrolle. So peoplepleasen wir uns durchs Leben, um an eine Kontrolle zu glauben, die wir heute vielleicht gar nicht mehr brauchen.
Wie erlebst du das Heilen des inneren Kindes – in deinem Leben und in deinen Texten?
Inwiefern spiegeln deine Bücher auch queere Perspektiven oder Erfahrungen?
Zunächst mal natürlich insofern, dass ich ein queerer Mensch mit Perspektiven und Erfahrungen bin, die in den Büchern gelandet sind. Explizit zeigt sich sowas wie eine queere Perspektive nicht nur in einigen Texten über die Liebe, sondern vor allem in meinem dritten Band „Die Schönheit bleibt ewig ohne Namen.“ Denn da erkunde ich mein eigenes People Pleasing, dass zu großen Teilen auch der Erfahrung geschuldet ist, ein Leben lang irgendwie anders zu sein und trotzdem dazugehören zu wollen. Ich glaube wir queeren Menschen haben fast alle diese Cameläon Eigenschaft, uns schnell an die Umgebung anzupassen, sobald wir Gefahr vermuten. Ein Copingmechanismus, der einmal sehr wichtig für uns war, aber auch dazu führen kann, dass wir heute maskieren, wo wir eigentlich sichtbar werden wollten. Dass wir anderen zuliebe leise bleiben, obwohl wir so viel sagen oder ausdrücken wollen.
Wie bringst du systemische Ansätze in deine Poesie ein?
Wenn du magst: Welche Tools oder Gedanken aus der systemischen Arbeit inspirieren dich?
Ich glaube, die ganzheitliche Perspektive der systemischen Arbeit hat viel Einfluss auf meine Texte gehabt. Nicht nur das Bewusstsein, dass wir in unseren Beziehungsnetzen kein Problem alleine haben, sondern, dass auch in uns viele unterschiedliche Anteile in Beziehung miteinander sind. Die eigene Pluralität konnte ich durch die Linse der systemischen Arbeit deutlich besser greifen.
Welchen Einfluss hat Spiritualität auf dein Schreiben – und wie definierst du sie für dich?
Spiritualität beschreibt für mich zunächst mal die Demut vor all dem, was ich nicht wissen kann. Eine Kontaktaufnahme mit dem, was hinter dem Erklärbaren liegt und das wache Vertrauen in die eigene Intuition.
Und diese Erfahrung zieht sich eigentlich durch mein komplettes Schreiben. Es gibt ja diesen Ratschlag für junge Schreibende „Schreib über das, was du weißt.“ Das erschien mir schon immer ungeheuer langweilig. Vielmehr will ich im Schreiben und mit meiner Leserschaft erkunden, worauf ich vertrauen darf, wo wir gemeinsam ratlos sind und wie ich persönlich mit dieser Ratlosigkeit umgehe. Die Poesie hilft mir immer wieder auf das Unsagbare zu zeigen und das Sagbare bringe ich so gut als möglich auf den Punkt.
Hast du Rituale oder Tools, die dir helfen, im Schreibfluss zu bleiben?
Was mir hilft im Fluss zu bleiben ist definitiv ein ambivalenter Mix aus Selbstgnade und mentalem Arschtritt. Zu wissen, wann du dich mit dem eigenen Anspruch überforderst und wann dich ein provokantes „Das geht noch besser“ motivieren kann.
Ich glaube, dass viele Schreibende dazu neigen, gute Texte erzwingen zu wollen und zu viel von ihren ersten Entwürfen erwarten. Dabei darf so ein Text wachsen und entstehen. Und, genau wie in einem Garten, ist was andere heute „Dreck“ nennen, in Wahrheit der fruchtbare Boden für alles, was sich noch zeigen will. Da ist vielleicht mehr Potenzial in den staubigen Entwürfen euerer Schubladen als ihr denkt.
Wie regulierst du dein Nervensystem in herausfordernden Phasen?
Neuerdings ganz körperlich, statt wie in Vergangenheit mit dem Geist. Mit Tapping, Atemübungen und (so banal es klingt) auf dem Boden liegen. Ich habe erst gemerkt, wie sehr mir Erdung im Alltag gefehlt hat, als ich mir den Raum genommen habe, sie ganz buchstäblich zu erfahren.
Und natürlich mein Hund – wenn er sich anlehnt oder gestreichelt werden will, ist das Coregulation at it‘s best.
Was inspiriert dich, wenn du das Gefühl hast, der Zugang zu dir selbst wird leiser?
Dann geht es meist darum, rauszufinden, was zu laut geworden ist, sodass ich mein Innen nicht mehr hören kann.
Meistens bedeutet das dann Rückzug in die Stille. Mal wieder was absagen und zur Ruhe kommen. Aber manchmal, wenn ich in der Stille doch wieder nur zu viel nachdenke und grüble, ist es auch mal gut spazieren zu gehen, mit Freunden rumzualbern oder Laufen zu gehen. Erdung zu erfahren und den eigenen Körper zu spüren.
Was würdest du deinem früheren Ich sagen – mit dem Wissen von heute?
Ich bin stolz auf dich. Du darfst genau dort sein, wo du gerade bist. Vertrau dir. Und date lieber erstmal dich, statt den nächstbesten heißen Typen.
Wenn deine Bücher eines Tages in den Händen deines jüngeren Selbst lägen – was, glaubst du, würde es darin finden?
Hoffnung. Zuversicht. Affirmationen für etwas, was mein jüngeres Selbst schon wusste, aber nicht formulieren und leben konnte.
Gibt es etwas, das du deinen Leser*innen mit auf den Weg geben möchtest – über das hinaus, was schon in deinen Büchern steht?
Niemand kann dir sagen, wie man ein Leben wie deines richtig lebt. Alle Antworten sind in dir. Das Außen kann dir bloß Hinweise geben, wo du in dir selbst nach ihnen schauen solltest. Womöglich sieht dein Leben, deine Umsetzung dann ganz anders aus als die deiner Vorbilder.
Woran arbeitest du gerade – was darf als Nächstes von dir entstehen?
Ich balanciere gerade zwischen sehr biografischen Texten und mystischer Fiktion. Das eine ist irgendwie mein Anker und das andere meine Träumerei. Ich weiß noch nicht, was davon vielleicht sogar zu einem Buch werden könnte, aber sobald es sich zeigt, erfahrt ihr es als erstes.
Und zuletzt: Wo kann man dich finden, lesen, sehen oder mit dir in Verbindung treten?
Ich plane derzeit eine Lesetour für Herbst 2025 (Newsletter Abonnet:innen erfahren immer als erste davon) und ansonsten findet ihr mich wie immer auf Instagram oder für mehr deep dive (hier) auf meinem Blog.