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Seit über einem Jahrzehnt hänge ich auf Instagram ab. Und ich hasse es.

Okay – ich liebe es und hasse es. Beides. Ich habe die meisten von euch dort erreicht, aber nur ganz wenigen bin ich dabei wirklich begegnet. Der Algorithmus will mehr Futter, während der Künstler in mir regelmäßig hungert. Ich wollte es Kunst nennen, aber das System nannte es Content. Und irgendwann habe ich dem System geglaubt. Das war keine Kunst für Menschen, das war Content für Leute. Wollte ich jetzt nur noch gesehen werden, statt zu schreiben?

Als ich angefangen habe – mit 70 statt 70.000 Followern – habe ich für den Jungen geschrieben, der sich seine Gefühle verboten hat. Für den Jungen, der glaubte, immer für alle anderen da sein zu müssen, statt für sich selbst. Für den Jungen, der ein mutiger Geschichtenerzähler werden wollte. Ich schrieb noch nicht für einen Algorithmus. Ich schrieb für Menschen. Menschen mit Unsicherheiten und inneren Widersprüchen. Menschen mit Sehnsüchten, Ängsten und einem Hunger auf das Leben.

Und davor? Davor war ich besagter Junge. Davor habe ich geschrieben, weil es mir Freude bereitet hat. Nichts weiter.

„Aber Raphael – EVERYTHING is content!“

Nein, Steffi. Einfach nein. Nicht alles ist Content. Vor allem nicht für einen Künstler, dessen Atelier zu einer Content Fabrik verkommen ist. Es darf – nein – es muss da einen Raum geben, in dem wir Kunst aufatmen kann und wir uns neu ausprobieren dürfen.

Die Leichtigkeit war weg. Ich hatte keine Ahnung, wo ich sie verloren hatte, nur dass ich sie verloren hatte. Und immer, wenn mir etwas entgleitet, entgleist oder ich in ein tiefes Loch falle, türmen sich Notizen auf meinem Schreibtisch, in denen irgendwo eine Geschichte darüber steckt, welche Ausfahrt ich verpasst haben könnte und wie ich mich aus der letzten depressiven Verstimmung geschafft habe.

Als ich also kürzlich in meiner Vergangenheit herumblätterte, wurde mir klar, dass es sich seit 2020 ständig darum drehte, zweckgebundene Kunst zu schaffen, die ich im weiteren nur noch Content nenne. Dass offenbar Kunst als mein intimer Schutzraum immer kleiner geworden war. Journaling hatte sich zunehmend nach Zeitverschwendung angefühlt, weil ich doch auch etwas »verwertbares« hätte schreiben können. Und malen? Neues ausprobieren? Kaum noch. Immer weiter weg von dem freien Spiel, weil alles immer zweckgebundener wurde. Kunst und Künstler sein wurde zunehmend performativ. Mir gefiel die Idee der Kunst, aber nicht länger die Praxis. Rumsitzen, vor sich hin probieren und gestalten, was niemand zu sehen bekommt außer ich selbst? Das war nicht mehr drin. Denn da war jetzt nicht nur ein wachsendes Publikum, sondern auch ein wachsendes Geschäft.

So wie junge Eltern beim ersten Kind oft nur noch um ihr Elternsein kreisen, wurde nach der Veröffentlichung des ersten Buches alles auf seinen Erfolg hin ausgerichtet. Ich wollte dem Kleinen ein gutes Leben bieten, also musste es raus in die Welt. Ergo: Werbung machen. Die Falle schnappte zu!

Es fühlte sich wie Kunst an, weil ich doch etwas gestaltete, um meine Kunst bekannter zu machen. Aber es war keine Kunst, es war Content und Werbung, um Kunst und Künstler bekannter zu machen. Tückisch auch deshalb, weil sich diese Bereiche im Ergebnis so verdammt ähnlich sehen konnten. Aber Absicht und Prozess konnten dabei manchmal nicht unterschiedlicher sein.

Kunst ist ein Raum nur für mich und mein Innerstes. Content hat eine Agenda im Außen. Wenn ich ein Gebäude bin, das bewohnt wird von meinen inneren Anteilen, dann war ich ein offenes ebenerdiges Bungalow in der Natur, das plötzlich zu einem steil gebauten Plattenbau mit kleinen Fenstern geworden ist. Statt in einem sonnendurchfluteten Atelier, verbrachte der Künstler in mir die letzten Jahre eher im Neonröhrenlicht eines Bürokorridors. Einem kalten Flur, durch den hektisch Agenturmäuse und abgepuderte Moderatoren rannten. Ständig auf dem Weg zum nächsten Meeting, der Strategieoptimierung und dem nächsten Launch.

Sobald der Künstler eine Idee auf ein Posted gekritzelt hatte, riss ihm den schon jemand aus der Hand und jubilierte »Everything is content.« (Ja, Steffi, du bist die Hauptverdächtige.)

Plötzlich hatte ich keine Zeit mehr. Plötzlich erschien Kunst mir wieder so frivol und selbstsüchtig. Wozu geduldig erschaffen, wenn ich effizient produzieren könnte?

Das perfide war ja, dass ich, ohne Unterscheidung zwischen Kunst und Content, die Kunst scheinbar für die Kunst opferte: Jeder Pinselstrich war ja für die Vermarktung eines alten Pinselstrichs gedacht. Kreative Co-Abhängigkeit quasi wie in einer dysfunktionalen Familie. Aber wann ist so ein Buch eigentlich erfolgreich genug, um sich Zeit für ein Neues zu nehmen? Und mit neu, meine ich hier eins, das völlig erfolglos sein dürfte. Eins, das ich schreibe, für die reine Freude am Erschaffen. Wie damals.

Mir scheint, ich bin mit „Pragmatische Poesie III“ über die Ziellinie eines vierjährigen Marathons gelaufen. Und wie nach einem echten Marathon, bleibt man nicht exakt auf der Ziellinie stehen. Man läuft sich aus.

Wann ist der Punkt, wo ich als Künstler weiterziehen darf? Mein Leben nicht zu einer nie endenden Promotour machen muss, sondern Balance mit klareren Grenzen finden darf?

Alles hat ja seinen Platz: Die Agenturmäuse, der Moderator, der Performer, der Künstler in mir (und ja, Steffi, auch du). Bloß die Verteilung war zeitweise schräg. Nicht länger kreiieren auf dem Flur wäre zum Beispiel ganz nett. Wieder Raum zu bekommen für das, was mich nicht erfolgreich machen muss, sondern bloß glücklich machen darf. Wieder ins Atelier zurückkehren und diesmal den Vorhang auf zu lassen, damit ihr vorbeischauen könnt.

Und long story short: Deshalb sind wir jetzt hier. Auf einem Blog. Als wäre es 2005 all over again.

Ich erkannte, dass es um ein Polarisieren der Bereiche Kunst, Content und Business geht. Ein klareres Verschieben der einzelnen Gewohnheiten und Tätigkeiten in eine dieser drei Ecken, um ein klares Bild davon zu bekommen, wo ich mich mit einer Tätigkeit aufhalte.

Fakt ist einfach, dass die Kunst viel zu kurz kam, vielleicht auch, weil sie die selbstverständlichste von den Dreien war. Sie war immer schon für mich da und somit irgendwie am leichtesten zu übersehen. (*ruft demütig seine Mama an*) In Ansätzen habe ich schon oft über dieses Verhältnis von Kunst und Content nachgedacht, aber eben ohne die Erfahrungswerte der letzten Jahre. Aber interessant sind wirklich diese unscharf gewordenen Grenzen zwischen Kunst, Content und Business. Denn genau hier bin ich gestolpert.

Ich will Klarheit anprobieren:

Wann hört Content auf, Content zu sein?
Wenn er nicht für die Öffentlichkeit gemacht ist.

Wann hört Kunst auf, Kunst zu sein?
Wenn sie sich fürs Außen verbiegen muss.

Wann hört Business auf, Business zu sein?
Wenn niemand mehr etwas dafür bezahlt.

Vielleicht ging es auch gar nicht primär um die klare Trennung von Kunst, Content und Business, sondern schlicht um den Verlust von Kunst als meinen Safe Space. Als erdendes Element von dem aus alles andere erwachsen darf. Denn als Recovering People Pleaser versuche ich aktuell alles mit mehr Grenzen zu lösen, während es vielleicht manchmal nicht um die Grenze zu einem Außen geht, sondern um die fehlende Nähe zu sich selbst.

Ich schreibe diesen Text hier in absoluter Privatsphäre noch bevor der Blog online gegangen sein wird. Und ich liebe diese Stille. Die vorläufige Intimität gepaart mit der Vorfreude, sie mit euch zu teilen, wenn die Zeit reif ist.

Es fühlt sich an wie eine Befreiung. Ein Raum in dem ich endlich mal wieder atmen kann.

Ich habe mich in Vergangenheit oft ins Rampenlicht gezerrt, um den Perfektionismus zu vermeiden, der für gewöhnlich bei zu viel Wartezeit einsetzte. Und daraus wurde dann auch eine Gewohnheit.

Ich war dann dieser Adrenalin-Junkie, der Bunjee Jumping macht, um sich selbst zu spüren. Ich stürzte mich nach draußen. Meine Angst sagte mir, dass uns das zerstören wird. Keinen interessiert’s. Ich fühle Erleichterung. Und die Reiz-Reaktionsschleife war etabliert. Statt mich und meinen Körper zu fragen: „Fühlt sich das gut an, das jetzt zu teilen?“ Brüllte ich nur „Aus dem Weg!“ und stürzte mich von der Bunjee-Plattform.

Aber genau das ist heute mein Weg da raus: Mein Körper als Kompass. Als schreibender Mensch verbringt man so viel Zeit im Kopf, dass das Lektorat vom eigenen Körper völlig übersehen wird. Dabei hat er verdammt gute Anmerkungen: „Spürst du das? Dieser Absatz ist deine Angst Missverstanden zu werden.“ Oder „Spürst du das? Dieser Text will freigelassen werden. Nicht als Werbung, sondern weil du auftauchen darfst.“

Und dieser Blog fühlt sich einfach mit jeder Phaser richtig an. Mein Bungalow. Mein Atelier. Mein Partykeller. Er lässt mich tanzen, auch wenn das hier nicht Tiktok und ich nicht mehr 22 bin. Alte Holzwände und ein Britney Poster an der Wand. Hier ist unsere Tanzfläche, die nicht up-to-date sein muss, damit wir hier abfeiern können.

So formuliert, glaub ich, dass es sogar der perfekte Ort für unsere ehrlichsten Begegnungen ist.

In diesem Sinne „My loneliness is killing me…“, aber „i still believe – STILL BELIEVE!“

Hugs, Raphael

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