Mein Ex Tom Riddle

Nichts ist so bitter, wie jemanden wiederzutreffen, der dir das Herz gebrochen hat und dabei kann dich niemand schreien hören. Niemand kann dich schreien hören, weil du nickst und lächelst. Wie immer. Schluck’s runter! Gib dir nicht die Blöße! Bleib stark!

Aber ich bin müde. Alarmierend müde. Müde davon stark zu sein. Ich ertrage diesen ganzen Smalltalk nicht mehr. „Wie geht es den Kindern?“ hier, „Wie gehts der Eigentumswohnung?“ da. Am Ende haben wir viel gesagt und nichts davon war von Bedeutung.

Es ist eine Sache, eine Affäre mit 19 zu haben, dir wird das Herz gebrochen und du siehst den Kerl nie wieder. Eine ganz andere ist es, in so jungen Jahren eine Affäre mit jemandem zu haben, der vergeben ist, dich in ihn zu verlieben und jahrelang von ihm warmgehalten zu werden. Ich sehe immer den Teil, der sich hat warmhalten lassen, meine Schuld, meine Dummheit. Aber meine Wut und meine Trauer erzählen mir heute eine andere Version.

19:45 Uhr: Ich sitze am Gartentisch mit zwei jungen Eltern, die scheinbar gerade ihre kinderfreie Zeit genießen. Kinderfrei heißt, dass ihre Nachkömmlinge mit 30 anderen Kids 20 Meter weiter toben und sich mit Wasserpistolen abschießen.

19:46 Uhr: Ich schaue rüber zum Gartentor und bereue es in der nächsten Sekunde. Da kam er. Die Haare, das Hemd, die Figur. Da kam er. Ich hatte es schon bei der Einladung befürchtet. Ein schlechtes Bauchgefühl gehabt. Und da war er. Irgendwo da legte ich mir meine Rüstung wieder an. Schweres blutverschmiertes Metall, dass mich irgendwann mal davor bewahrt hat, komplett an dem Kerl zugrunde zu gehen. Wir würden noch eine Weile umeinander herumschleichen. So tun als hätten wir uns nicht gesehen oder uns mit anderen Gästen angeregt unterhalten, um ja nicht zu interessiert zu wirken oder womöglich der erste zu sein, der auf den anderen zugeht. Das war unser Spiel von damals und wir spielen es heute besser denn je.

20:00 Uhr Ich unterhalte mich mit zwei Menschen, aber laufe auf Smalltalk Autopilot, weil meine ganze Aufmerksamkeit darauf liegt, wie das ganze hier von schräg gegenüber aussieht. Denn schräg gegenüber stehst Du. Du, mit deiner vermeintlich unantastbaren Gelassenheit und diesem Diplomatenlächeln, was den Wahlkampf gewinnt und anschließend ganze Staaten zerstört. Oder eben nur mich. Aber nicht heute. Diplomatie kann ich auch.

20:01 Uhr Du schaust rüber. Diese zwei nervösen Augenpaare treffen auf das jeweils gelassene Lächeln des anderen. Na super. Wir winken. „Ach hi…“ Du kommst rüber. Die Scheiße geht los. Blabla. Eigentumswohnung. Blabla. Urlaub machen. Blabla. Du hast mich mit Anfang zwanzig komplett verkorkst. Wobei, das denk ich mir nur. Mein Herz war dein Punchingball. Nach jedem Schlag, kam ich zurück für den Nächsten. Erbärmlich. Ich hasse mich in diesem Moment, lächle weiter und – blabla.

20:05 Uhr Kinder mit Wasserpistolen toben um uns herum und der ein oder andere Streifschuss erwischt auch uns. „Wir sind hier im Kriegsgebiet“, lache ich und meine es toternst. Jeder Schuss reißt mich zurück in deinen Treibsand. Dein Gerede von damals.

Dein schizophrenes Gelaber von „Ich will dich“ und dem pseudo-vernünftigen „Ich kann das nicht“ hat mich damals gegaslightet bis zum geht nicht mehr. Diese ständige Rein-Raus-Bewegung. Nicht die angenehme Variante, sondern eher die rostiges-Küchenmesser-in-offener-Wunde-Variante. Rein, raus, rein, raus. Traumhafte Bedingungen für meine Heilung.

Und jetzt? Brennt die Wunde. Wie Harry Potters Narbe, wenn Voldemort in der Nähe ist. Ob ich dich gerade mit Lord Voldemort verglichen habe? Ja! Tat gut. Du, dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf. Das warst du in den letzten 10 Jahren für mich und Gott – jetzt stehe ich hier und dein Name schnürt mir die Kehle zu. Aber noch immer: Kein „Avada Kidavra!“, sondern ich lächle freundlich. Ich hasse diese Fake Welt, in der wir selbst so fake werden müssen, um zu überleben. Als hätte Harry alle 7 Teile lang den Tarnumhang an: Keine Geschichte. Keine Magie. Nur ein ängstlicher unsichtbarer Junge zwischen Handlungssträngen, die nicht seine sind.

20:30 Uhr Das rostige Messer ist endlich raus. Die Infektion zurück. Du machst irgendwo weiter Konversation und ich irgendwoanders auch. Wir umkreisen uns noch einmal am Buffet und das wars. Danke für den Schmerz. Danke für Nichts.

21:00 Uhr Der Gastgeber kommt mit einer Hand voll Salz: „Ich habe dir extra nicht gesagt, dass er kommt. Ich dachte so kommt ihr beide. Ich hoff, das ist okay.“ Nein. Ist es nicht. Aber ich sage „Alles gut. Ist halt nur ein bisschen komisch, wenn wir uns sehen.“ Fake sein. Gute Miene zum bösen Spiel – das bringt mich hier durch. Davon scheine ich überzeugt, sonst würde ich ja ehrlich sein. Ich schiebe mir schnell noch einen Fritatawürfel vom Buffet in den Mund, weil ich merke dass mir das gelassene Lächeln entgleist.

Aber wer kann es ihnen vorwerfen? Wir nicht. Unser Lächeln sieht so echt aus, dass alle denken „Die zwei können wir zusammen einladen. Die sind cool miteinander.“

In einer perfekten Welt, wäre ich um 19:46 Uhr in mich und um 19:47 Uhr nach Hause gegangen. Für mich. Selbstfürsorge. Hätte mir den Scheiß nicht gegeben.

In einer perfekten Welt, hätte ich auf mein Bauchgefühl gehört und den Gastgeber schon vorher gefragt, ob du da sein würdest.

In einer perfekten Welt, hätte ich dir 2010 nach deinem ersten „Ich kann das nicht“ geglaubt und entschieden, dich nie wieder zu sehen.

Aber die Welt ist nicht perfekt. Ich bin hier. Du bist hier. Der Schmerz ist hier.

Aber wenigstens stecke ich nicht mehr unter dem Tarnumhang.

Zumindest für diese paar Zeilen nicht.

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